Viele gute Gründe, die bilateralen Beziehungen zur EU zu festigen
Vieles ist seit dem 24. Februar 2022 in Bewegung. Vermeintliche Gewissheiten – wie Frieden in Europa – haben sich als Illusion erwiesen, Sicherheit ist dem Zweifel gewichen. Der Krieg in der Ukraine hat Europa verändert. In diesem international schwierigen Kontext steht die Schweiz gemeinsam mit ihren europäischen Partnern ein für Frieden, Sicherheit und Wohlstand. Das liegt nicht nur an den gemeinsamen Werten; Stabilität und Sicherheit sind auch im Interesse der Schweiz als offene Volkswirtschaft und namentlich der verschiedenen Exportbranchen, die sie vertreten.
An einem einzigen Arbeitstag handelt die Schweiz mit der EU mit Waren im Wert von einer Milliarde Franken. 2021 betrug der Anteil der EU-27 am gesamten Schweizer Warenaussenhandel 58 Prozent. Das entspricht einem Wert von rund 266 Milliarden Franken. Handkehrum ist die Schweiz für die EU die viertgrösste Partnerin im Warenverkehr – nach China, den USA und dem Vereinigten Königreich. Dabei sind mehr als die Hälfte der Importe aus der EU Vorleistungen, die in die Herstellung von Schweizer Produkten fliessen. Und über 50 Prozent der Schweizer Exporte werden in der EU weiterverarbeitet. Mit anderen Worten: Der EU-Binnenmarkt ist für die Einbindung der Schweizer Unternehmen in internationale Wertschöpfungsketten zentral.
Neben der wirtschaftlichen ist die starke menschliche Verflechtung auf der Grundlage der Personenfreizügigkeit zentral: Etwa eine halbe Million Schweizer Bürgerinnen und Bürger leben im EU/EFTA-Raum. Umgekehrt sind ungefährt 1,5 Millionen EU/EFTA-Bürgerinnen und -Bürger in der Schweiz wohnhaft. Zusätzlich arbeiten 370 000 Personen als Grenzgängerinnen und Grenzgänger in der Schweiz.
Sie sehen: Der Bundesrat hat viele gute Gründe für sein erklärtes Ziel, die bilateralen Beziehungen zur EU weiterzuentwickeln und zu stabilisieren.
Ende Februar 2022, rund neun Monate nach der Beendigung der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen, schlug die Schweiz eine neue europapolitische Stossrichtung vor, den Paketansatz. Die Gespräche mit der EU wurden neu aufgegleist. Gleichzeitig intensivierte der Bundesrat den innenpolitischen Austausch mit institutionellen Partnern wie dem Parlament, den Kantonen, den Parteien, den Sozialpartnern, der Wirtschaft und anderen wichtigen Akteuren.
Der Paketansatz umfasst Elemente, die die Schweiz schon lang anstrebt, und bietet Spielraum für Kompromisse im konkreten Einzelfall. Neben der Aktualisierung der bestehenden Abkommen geht es um den möglichen Abschluss neuer Abkommen in den Bereichen Strom, Lebensmittelsicherheit und Gesundheit sowie die Sicherstellung der Teilnahme an Kooperationsprogrammen (z. B. Horizon). Um die Voraussehbarkeit und die Rechtssicherheit für ihre Akteure, insbesondere ihre Unternehmen, zu sichern, ist die Schweiz ihrerseits bereit, die institutionellen Fragen wie die dynamische Rechtsübernahme in einzelnen Binnenmarktabkommen zu regeln. Zudem will die Schweiz im Rahmen des Pakets eine Verstetigung des Schweizer Beitrags zur Überwindung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten zwischen den EU-Ländern prüfen.
Im März 2022 nahmen die Schweiz und die EU Sondierungsgespräche über diesen Ansatz auf. Bis zum Sommer 2023 fanden zehn Sondierungsrunden und mehr als 30 technische Gespräche zwischen der Schweizer und der EU-Delegation statt. Diese wurden im Spätsommer/Herbst intensiv weitergeführt, um die sich abzeichnenden Landezonen noch besser zu definieren und verbleibende offene Punkte zu klären. Die Gespräche werden auf der Grundlage der Eckwerte für ein Verhandlungsmandat geführt, die der Bundesrat im vergangenen Juni verabschiedet hat. Die Eckwerte bestimmen die konkreten Ziele und Inhalte eines Verhandlungsmandats und können gewissermassen als dessen Vorstufe angesehen werden.
Beide Seiten – die Schweiz und die EU – haben ein Interesse an einer Lösung. Für die Schweiz ist der sektorielle Zugang zum EU-Binnenmarkt wichtig. Gleichzeitig muss eine Einigung innenpolitisch tragfähig sein. Es geht darum, im Spannungsfeld zwischen aussenpolitischer Machbarkeit und innenpolitischer Tragfähigkeit die richtigen Lösungen zu finden. Für die EU ist die Integrität ihres Binnenmarkts, das heisst gleiche Spielregeln für alle Binnenmarktteilnehmer, ein zentrales Gut. Ich bin zuversichtlich, dass unsere gemeinsame Arbeit Früchte tragen wird.