Hinweisgeberschutz in Nordwesteuropa
Seit Ende 2021 gilt die EU-Hinweisgeber-Richtlinie. Wie ist der Stand der Umsetzung, und wie profitieren Unternehmen von Hinweisen?
Cum Ex, Panama Papers, Wirecard – Wie wichtig Hinweisgeber für Gesellschaft und Wirtschaft sind, zeigen die zahlreichen Skandale, die oftmals nur dank Hinweisgebern aufgedeckt werden konnten. Von Missständen betroffen sind Unternehmen aller Grössen und Branchen sowie der öffentliche Sektor. Vielfach schlecht steht es jedoch um den Schutz der Hinweisgeber. Die EU-Richtlinie zum Schutz von Hinweisgebern, die seit Dezember 2021 gilt, schafft erstmals einen EU-weiten Standard. Doch wie sieht die Umsetzung der Richtlinie in den EU-Ländern aus, und welche Bedeutung haben Hinweisgeber für international aktive Schweizer Unternehmen?
Bisher haben nur wenige Länder die Anforderungen der EU in ein nationales Hinweisgeberschutzgesetz umgesetzt, darunter Dänemark, Schweden, Portugal, Malta, Litauen und Frankreich. In den Schweizer Nachbarländern Deutschland und Österreich steht ein Gesetz noch aus, weswegen die EU bereits Vertragsverletzungsverfahren gegen die beiden Länder eingeleitet hat, was die Umsetzung im Frühjahr 2022 vorantreiben könnte. Im Folgenden geben wir einen kurzen Überblick über die Umsetzung der Richtlinie in den nordwesteuropäischen Ländern Dänemark und Schweden.
Dänemark machte den Anfang
Dänemark war im Juni 2021 das erste EU-Land, das die Richtlinie in Form eines Gesetzes zum Hinweisgeberschutz umgesetzt hat. Das Gesetz verpflichtet alle privaten und öffentlichen Arbeitgeber ab 250 (bzw. 50 Beschäftigten ab 2023) zur Einrichtung einer internen Meldestelle. Grössere Unternehmen, die Teil einer Muttergesellschaft sind, können ein gemeinsames System einrichten. In diesem Fall ist die Muttergesellschaft für die Einrichtung der Meldestelle und die Bearbeitung der Hinweise zuständig. In diesem Punkt weicht das dänische Gesetz von der Richtlinie ab, die vorsieht, dass nur private Unternehmen mit 50 bis 249 Mitarbeitenden gemeinsame Ressourcen nutzen dürfen.
Das dänische Gesetz beschränkt sich des Weiteren nicht auf Unionsrecht, sondern weitet den Anwendungsbereich auf das dänische Recht aus. Somit fallen auch Meldungen gegen schwerwiegende Verstösse wie z. B. Bestechung, Korruption, sexuelle Belästigung unter den nationalen Hinweisgeberschutz.
Schweden folgte als zweites EU-Land
Im September 2021 folgte Schweden mit der Umsetzung seines Hinweisgeberschutzgesetzes, welches in einigen Bereichen über die EU-Richtlinie hinausgeht. Es bleibt ebenfalls nicht auf Unionsrecht beschränkt, sondern bezieht schwedisches Recht mit ein. Darüber hinaus fallen unter den Schutz des Gesetzes nicht nur Personen, die Informationen über Fehlverhalten am Arbeitsplatz melden, sondern auch Personen, die einen Hinweisgeber unterstützen, oder juristische Personen, für die der Hinweisgeber arbeitet oder mit denen er anderweitig verbunden ist. Das schwedische Gesetz legt zudem neue Standards für die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Umgang mit dem Berufsgeheimnis fest. Ausserdem beinhaltet das Hinweisgeberschutzgesetz alle Beschwerden, unabhängig von der Art des Fehlverhaltens, und will betroffenen Personen Schadenersatz und Entschädigung ermöglichen.
Bedeutung von Hinweisgebern für international aktive Schweizer Unternehmen
Wie wichtig Hinweisgeber für international aktive Unternehmen sind, darüber gibt der Whistleblowing Report 2021 Aufschluss. Die internationale Studie, durchgeführt von der Fachhochschule Graubünden und der EQS Group, untersuchte über 1200 Unternehmen in der Schweiz, in Frankreich, Deutschland und Grossbritannien. Der Fokus der Studie lag auf der Frage, inwieweit Unternehmen von Missständen betroffen sind, und wie Meldestellen als Instrument zur Prävention und Aufdeckung von Missständen genutzt werden.
Die Untersuchung belegt zum wiederholten Mal, wie wichtig funktionierende interne Meldesysteme sind. Gemäss Studie war in der Schweiz beinahe jedes dritte Unternehmen von Fehlverhalten betroffen. Bei den Schweizer Grossunternehmen waren es sogar über 40 Prozent. Auch in international tätigen Unternehmen kommt es häufiger zu Missständen als in Unternehmen, die sich nur auf das Inlandsgeschäft konzentrieren. Im Vergleich zu Unternehmen aus Deutschland, Frankreich und Grossbritannien sind Schweizer Unternehmen damit zwar etwas weniger häufig von Missständen betroffen, doch ist der Anteil der finanziellen Schäden von 100 000 Euro oder mehr in der Schweiz am höchsten. Auffallend ist, dass 28 Prozent der befragten Schweizer Unternehmen über 80 Prozent des Gesamtschadens nur mithilfe der internen Meldestelle identifizieren konnten.
Gemäss Whistleblowing Report erweist sich jede zweite Meldung als relevant. Demgegenüber wird eine immer wieder auftauchende Befürchtung widerlegt: Gerade einmal jede zwanzigste Meldung wird bei den Schweizer Unternehmen als missbräuchlich eingestuft. Somit zeigen die Ergebnisse, dass die Einführung einer Meldestelle auch im eigenen Interesse der Unternehmen ist, da diese ein effektives Instrument ist, um Missstände in Unternehmen zu erkennen.
Der komplette Whistleblowing Report 2021 kann unter www.whistleblowingreport.de kostenfrei heruntergeladen werden.