
Grosse Gräben zwischen Plan und Realität
Der 15. BRICS 1-Gipfel in Südafrika endete mit dem Vorhaben, die Gruppe um sechs Mitglieder zu erweitern. Argentinien würde als zweites lateinamerikanisches Land dazustossen. Die Abschlusserklärung beinhaltet auch den Auftrag an die Finanzminister und Zentralbankpräsidenten, Möglichkeiten und Massnahmen für die Förderung der Verwendung eigener Währungen im gegenseitigen Handel sowie den Ausbau entsprechender Zahlungssysteme auszuarbeiten. Das Vorhaben Brasiliens und Argentiniens, Vorarbeiten für eine gemeinsame Währung Lateinamerikas zu starten, geht in eine ähnliche Richtung.
Für diese Pläne gibt es mehrere wirtschaftliche Beweggründe. Der Handel in eigenen Währungen bringt mikro- und makroökonomische Vorteile: Unternehmen müssen sich weniger mit Währungsabsicherungen beschäftigen und können besser planen, Volkswirtschaften gewinnen an Stabilität, wenn der Wert der eigenen Währung und damit die Konkurrenzfähigkeit weniger von einer Leitwährung (in diesem Fall dem US-Dollar) abhängt, sondern sich sowohl die Handels- als auch die dazugehörigen Finanzströme breiter diversifizieren. Politische Hintergedanken mögen ebenso eine Rolle spielen, denn das Beispiel Russlands hat in den letzten Jahren gezeigt, dass die USA nicht davor zurückscheuen, die globale Dominanz des USD-Systems für ihre Interessen einzusetzen. Zudem verschafft man sich als grössere Gruppe ein besseres Gehör in globalen Politikzirkeln.
Nun klafft aber ein tiefer Graben zwischen Vorhaben und Realität. Der effektive Handel in der eigenen Währung setzt voraus, dass man als Empfänger von brasilianischen Real oder argentinischen Pesos diese wieder für Einkäufe einsetzt oder Portfolioinvestments in diesen Währungen tätigt. Brasilien und Argentinien treiben miteinander und auch mit China und Indien einen nicht vernachlässigbaren Handel. Allerdings kann man nicht davon ausgehen, dass sich Exporterlöse der Unternehmen mit deren Importbedarf decken. Und wenn es um das Anlegen von Überschüssen geht, wird die überwiegende Mehrheit der Unternehmen die Sicherheit des US-Dollars der Hyperinflation in Argentinien und den Kapitalkontrollen Chinas vorziehen. Noch problematischer wird es bei Währungsunionen. Diese implizieren einen Verlust an geldpolitischer Souveränität; für ein gutes Funktionieren benötigt man eigentlich eine gemeinsame Fiskalpolitik – die Eurozone lässt grüssen. Es ist schwer vorstellbar, dass die momentanen und zukünftigen BRICS-Länder solch einem nationalen Kontrollverlust zustimmen, von den divergierenden Wirtschaftsleistungen und geopolitischen Ausrichtungen ganz zu schweigen.
Die Vorhaben der BRICS und die Pläne Lateinamerikas mögen über die kommenden Jahre punktuell zu einem grösseren Einsatz von Lokalwährungen führen, aber im Grossen und Ganzen die Vormachtstellung des US-Dollars im Welthandel in den kommenden Jahren nur leicht angreifen. Statt zu viel Energie auf ökonomisch halbgare Währungsfragen zu richten, gibt es mit der Reorganisation globaler Lieferketten im Lichte der Pandemie und geopolitscher Spannungen eine erfolgversprechendere Dynamik für lateinamerikanische Funktionäre, um ihren Wirtschaften zu Wachstum zu verhelfen.
* BRICS ist ein Akronym für die Schwellenländergruppe, bestehend aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika.