Digitale Prozesse als Innovationstreiber

Bei der Bearbeitung von Zahnrädern für den Getriebebau ist der Automatisierungsgrad seit Jahrzehnten matchentscheidend. Jedes Zahnrad wird hochgenau geschliffen, damit die Kraftübertragung so effizient wie möglich erfolgt. Mit der E-Mobilität hat diese Anforderung noch mehr an Gewicht gewonnen. Zum einen ist dort die Charakteristik mit viel höheren Drehzahlen und abrupt anliegendem Drehmoment anspruchsvoller, zum anderen ist das Geräuschverhalten in den Vordergrund gerückt.

Die 1788 gegründete Reishauer AG mit Hauptsitz in Wallisellen (ZH) und einem weiteren Werk in Pfaffnau (LU) stellt mit seinen rund 550 Mitarbeitern Schleifmaschinen zum Hartfeinbearbeiten von Zahnrädern her. Die Kunden stammen überwiegend aus dem Automobil- und Nutzfahrzeugbau, jedoch finden die Produkte auch bei E-Bike-Herstellern und Industrieanlagenproduzenten ihre Abnehmer. Den unter dem nüchtern technischen Begriff Zahnflanken-Wälzschleifmaschinen vertriebenen Produkten wohnt die sprichwörtliche Schweizer Präzision inne, und sie haben zudem durch das besondere Schleifverfahren die höchste Teileausbringung – wodurch die niedrigsten Stückkosten erreicht werden. Ergänzt wird das Angebot von Reishauer durch die Produktion der Schleifschnecken, von Abricht- und Spannwerkzeugen sowie den Service und die Digital Services. Hinzu kommt der Laderbau, der die Schnittstelle zwischen Bestückung der Schleifmaschine und dem Zuführsystem schliesst. Die Wertschöpfung liegt zu fast 70 Prozent in der Schweiz, der Exportanteil bei über 95 Prozent.

Beim Zahnradschleifen konnte das Zusammenspiel der beiden sich gegenseitig limitierenden Faktoren Zeit und Präzision in den letzten Jahrzehnten immer weiter optimiert werden, sodass die reine Verkürzung der Gesamtbearbeitungszeit heute nur noch wenig Potenzial für weitreichende Verbesserungen birgt. Der vollautomatisierte Schleifvorgang lässt bei Optimalkonfiguration seit einigen Jahren Zykluszeiten zu, die bei unter zehn Sekunden liegen und damit wohl den Punkt nahe am technisch Machbaren markieren.

Es gibt zum Erfassen der Masshaltigkeit eines Werkstücks bislang keine Alternative zum taktilen Messen. Die hochgenaue Bestimmung der Werkstückgeometrien mittels Tastspitze gilt als die genaueste Methode am Markt, benötigt pro Werkstückmessung jedoch einen recht hohen zeitlichen Aufwand. Aufgrund der hohen Ausstossleistung beim Wälzschleifen ist das Messen daher nur stichprobenartig möglich, was für identische Schleifergebnisse extrem stabile Prozesse benötigt. Inhomogene Chargen, beginnende Abnutzung einzelner Bauteile, Bedienfehler – die Liste der Einflussfaktoren ist lang.

Um nun abweichende Teile zwischen zwei Stichprobenmessungen erkennen zu können, wird beim Schleifen das Verhalten eines Werkstücks analysiert. Das ARGUS-Monitoring-System bewertet an jedem einzelnen Zahnrad Bearbeitungskräfte und Schwingungen während des Schleifprozesses mittels hochempfindlicher Sensoren. Illustrativ gesprochen, ergeben mehrere dieser Muster übereinandergelegt eine begrenzende Kurve, anhand derer abweichende Werkstücke erkannt und über den Lader aus dem weiteren Verarbeitungsprozess entfernt werden können. Doch die aus dem Schleifprozess von zum Teil Tausenden geschliffenen Werkstücken gewonnenen Daten haben deutlich mehr zu bieten. Was noch vor wenigen Jahren als nicht umsetzbar galt, hat sich innerhalb kurzer Zeit rasant weiterentwickelt. Mittlerweile kann anhand dieser Daten selbst ein potenziell kritisches Geräuschverhalten des Werkstücks vorausgesagt werden. Ob also ein Zahnrad im Getriebe zu störenden Geräuschen neigt, erkennt ARGUS bereits während des Bearbeitens. Eine Eigenschaft, die sich bislang erst nach dem Zusammenbau überprüfen liess und damit einen teuren Rückbau zur Folge hatte.

Der Blick von ARGUS beschränkt sich nicht nur auf den Zustand einzelner Werkstücke. Was die in der Maschine verbauten Sensoren aufnehmen, bezieht sich gleichermassen auf die maschineneigenen Komponenten und kann somit genutzt werden, um die entscheidende Kennzahl, die Gesamtanlageneffektivität (OEE), zu verbessern. Jede Bewegung in der Maschine, jeder Abricht- oder Schleifvorgang verursacht charakteristische Frequenzen, die den einzelnen Komponenten zugeordnet werden können. Wenn sich diese Frequenzmuster zu verschieben beginnen, kann ARGUS auf Basis datenbankgestützter KI-Algorithmen das betroffene Bauteil identifizieren und den Zeitpunkt für einen notwendigen Wechsel vorausbestimmen. Dadurch lassen sich Wartungszeiten aufeinander abstimmen und ungeplante Stillstandszeiten vermeiden.

Durch die Reishauer-Datencloud des Kunden können unabhängig vom Standort alle seine an ARGUS angebundenen Maschinen zum Analysieren und Optimieren der Prozesse zusammengeführt werden. Die wichtigsten Abricht- und Schleifparameter sind einsehbar und anhand des aufgelaserten DMC-Codes zu jedem einzelnen Werkstück rückverfolgbar.

Der Begriff der Automatisierung hat sich mit den Anforderungen der Industrie 4.0 verändert. Digitale Prozesse und die Anbindung an Datenbanken sind zunehmend Schlüsseltechnologien und machen Grenzen valide sichtbar, die vorher auf Annahmen und Erfahrungswerten beruhten. Software und KI-basierende Analysetools entwickeln sich stetig weiter und erlauben immer komplexere Auswertungen immer umfangreicherer Datensätze. Davon getrieben, stellt die E-Mobilität der Industrie neue Herausforderungen – mit neuen Möglichkeiten.