Wachstumsdynamik und Währungsstabilität am Ganges

Jung, aufstrebend, reformorientiert und – nicht zu unterschätzen – westliche Sicherheits- und Demokratievorstellungen: Indien erfüllt viele Kriterien, die Schwellenländer interessant machen. Ausgehend von Schätzungen des Internationalen Währungsfonds, dürfte Indien bis 2028 Japan als die drittgrösste Volkswirtschaft ablösen. Bis 2030 erreichen rund 83 Millionen Inder*innen das arbeitsfähige Alter, und ein steigendes Pro-Kopf-Einkommen sollte zu einem Konsumschub auf dem Binnenmarkt führen. Die Pandemie, die geopolitische Lage und die damit einhergehende Neuordnung globaler Lieferketten bergen für das Land zudem eine Chance, einen grösseren Anteil des globalen, exportfokussierten, verarbeitenden Gewerbes bei sich anzusiedeln. Dazu sind Investitionen in Infrastruktur und Produktionskapazitäten nötig. Seit der Liberalisierung von Regulierungen im Jahr 2016 zieht Indien regelmässig hohe Summen von ausländischen Direktinvestitionen an. Und wir denken, dass die dortigen Unternehmen dank eines vorherigen Schulden­abbaus heute in einer guten Position sind, um Investitionen zu tätigen.

Indiens Stunde scheint also gekommen. Aber wie steht es um die Rupie? Vergleicht man ihren Kurs-Chart zum US-Dollar mit anderen Schwellenländerwährungen wie dem mexikanischen Peso oder dem südafrikanischen Rand, wird schnell klar, dass die Rupie nicht vollkommen frei handelt. Stattdessen hält die indische Zentralbank sie in einem «Managed Float»-Regime, das heisst, sie lässt Schwankungen zu, interveniert aber, um diese einzuschränken und ein gesamtwirtschaftlich verträgliches Level des realen Wechselkurses zu erreichen. Im Vergleich zu anderen asiatischen Volkswirtschaften sind die Inflationsraten und Zinsen in Indien eher hoch. Diese Kombination aus einem hohen Zinsniveau und niedriger Volatilität macht die Rupie zu einer bevorzugten Währung für das Zinsdifferenzgeschäft. So ist auch momentan der Zins von 6,75 Prozent auf kurze Laufzeiten attraktiv: Wir erwarten eine leichte Aufwertung der Rupie gegen den US-Dollar bis zum Jahresende. Die Währung wird neben den lokalen Gegebenheiten jedoch massgeblich beeinflusst von den erwarteten Zinssenkungen der US-Notenbank Fed.

Die Konvertibilität der Rupie für Transaktionen, die die Leistungsbilanz − also den Handel in Gütern und Dienstleistungen − betreffen, ist mit der entsprechenden Dokumentation kein Problem. Hingegen ist die Rupie für Finanztransaktionen, die die Kapitalbilanz betreffen, nicht frei konvertierbar. Allerdings hat Indien in den letzten Jahren seine Regulierungen angepasst, um den Zugang zum dortigen Finanzmarkt einfacher zu gestalten. Das könnte unter anderem dazu führen, dass indische Staatsanleihen in die J. P. Morgan Government Bond Index Emerging Markets aufgenommen werden, einen Referenzindex insbesondere für Schwellenländer. Zunehmende Zuflüsse von Finanzinvestoren bergen immer das Risiko für schnelle Abflüsse in wirtschaftlich weniger verheissungsvollen Phasen, unter anderem weil Indien neben allen Stärken als Energieimporteur und aufgrund des Leistungsbilanzdefizits klare Schwachstellen aufweist. Dieses Jahr finden ausserdem Wahlen statt. Premierminister Narendra Modi dürfte erwartungsgemäss die Regierungsgeschäfte weiterführen, dennoch lohnt es sich, die Fortsetzung der strukturellen Reformen im Auge zu behalten.