Erwacht der bengalische Tiger?
Mit einer Bevölkerung von gut 1,4 Milliarden Menschen ist Indien heute das bevölkerungsreichste Land. Mit einem Durchschnittsalter von 28 Jahren ist die Bevölkerung sehr jung, ambitioniert und hungrig. Heute ist Indien die fünftgrösste Volkswirtschaft und wächst weiterhin stark. Die politische Situation ist stabil; die grösste Demokratie der Welt wählt im Frühjahr, vermutlich wird die Regierung Modi für die nächsten fünf Jahre an der Macht bleiben.
Selbst wenn Indien für die Kistler Gruppe in den letzten Jahren kein Fokusmarkt war, sind wir schon lang im Land präsent. Unsere Service- und Vertriebsgesellschaft mit Hauptsitz in Delhi und Büros in Chennai, Pune und Faridabad wurde 2010 gegründet und wächst seither überdurchschnittlich. Verglichen mit China ist der indische Markt aber noch sehr klein.
Ich besuche Indien seit fast 20 Jahren regelmässig. 2017 hatte ich das Privileg, mit der Schweizer Wirtschaftsdelegation anlässlich des Staatsbesuchs der damaligen Bundespräsidentin Doris Leuthard die Spitzen der indischen Regierung und den Ministerpräsidenten Narendra Modi zu treffen. Zugegeben, ich war nicht uneingeschränkt beeindruckt von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und dem Potenzial der Märkte. Heute allerdings musste ich nach meinem jüngsten Besuch mein Bild revidieren. Indien hat sich in den letzten Jahren massiv entwickelt. Die Schweiz wird in Indien noch immer positiv wahrgenommen. Das am 10. März unterzeichnete Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz sowie den anderen EFTA-Staaten und Indien unterstreicht dies.
Indien hat nicht zuletzt mit den wachsenden Unsicherheiten des chinesischen Marktes an Bedeutung gewonnen. Der Staat investiert in den Aufbau der Infrastruktur, die Stärkung des industriellen Sektors und den Ausbau von spezifischen Technologien. Mit der geglückten Mondlandung im letzten Sommer, dem Chandrayaan-3-Projekt, positioniert sich Indien als ambitionierte technologische Volkswirtschaft. Für Schweizer Unternehmen ist der indische Markt folglich sehr attraktiv.
«Frugal products instead of overengineered solutions»
Kosten und Preisdruck sind in Indien das Gebot der Stunde. Es wäre falsch, anzunehmen, dass qualitativ minderwertige Produkte gefragt wären. Der indische Kunde verlangt erstklassige Produkte, erwartet aber ein tiefes Preisniveau. Frugales Engineering heisst, Produkte anzubieten, die preislich attraktiv sind. Der Fokus liegt auf anwendungsorientierten Funktionen mit einem hohen Nutzen. Keine «nice-to-haves», sondern Reduktion auf das Wesentliche. Deshalb sind das lokale Engineering und die lokale Fertigung ein klares Muss. «Made in India» wird folglich nicht nur für staatliche Aufträge immer wichtiger.
Die Perfektion der Administration
Administrative Hürden gehören zur Tagesordnung. Indien hat Verwaltung und Administration, basierend auf dem englischen System, perfektioniert. Effizienz steht dabei nicht an erster Stelle. Das indische Rechtssystem kann westliche Geschäftspartner zur Verzweiflung bringen. Die Geissel der Korruption wird zwar bekämpft, es wird aber noch ein langer Kampf werden. Kistler setzt auf eine Null-Toleranz-Politik und auf das konsequente Nein insbesondere bei Grauzonen. Dass dabei mitunter lukrative Aufträge verloren gehen, gehört dazu.
Automobilindustrie und Infrastrukturausbau als Wachstumsmärkte
Besonderes Potenzial versprechen zwei Märkte, die für die Kistler Gruppe ebenfalls von grosser Bedeutung sind. So gehört der indische Automobilmarkt mitunter zu den am schnellsten wachsenden Märkten, denn mit einer expandierenden Mittelschicht steigt der Bedarf an sicheren und immer hochwertigeren Fahrzeugen. Mit klassischen Anwendungen wie Fahrzeugsicherheit und Weiterentwicklung des Verbrennungsmotors kann die Kistler Gruppe hier hohe Bedarfe decken. Elektrische Fahrzeuge hingegen spielen in den nächsten Jahren kaum eine Rolle.
Genauso kurbeln hohe Infrastrukturausgaben Indiens Wirtschaft an. Dabei schneidet Indien besser ab als andere grosse Volkswirtschaften. Anfang Februar verkündete die Regierung Investitionen von 134 Milliarden US-Dollar in Infrastrukturprojekte, plus 11 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch hier bieten sich für viele Unternehmen Marktchancen: Die Kistler Gruppe bietet beispielweise Sensorik für das Bauwesen, um den strukturellen Zustand von Brücken und historischen Gebäuden zu bestimmen.
Persönliche Beziehungen als Schlüssel
Indien zu verstehen, ist schwierig, persönliche Beziehungen sind unabdingbar. Ein persönliches Netzwerk aufzubauen, dauert seine Zeit. Wer sich ernsthaft mit Indien auseinandersetzen muss, braucht einen langen Atem und damit natürlich eine gewisse Frustrationstoleranz.
Der Königstiger ist das indische Nationaltier. Ein prächtiges Tier, das leider vom Aussterben bedroht ist. Ich hoffe, dass dieses wunderbare Tier überlebt. Ich bin aber überzeugt, dass das Wirtschaftswachstum in Indien weiterhin steigt. Die Zielsetzung der indischen Regierung, zur drittgrössten Volkswirtschaft zu werden, ist nicht unrealistisch, selbst wenn das noch ein weiter Weg ist. Der Tiger ist aufgewacht, es ist Zeit, Indien wahrzunehmen und sich im indischen Markt zu positionieren.
Die Kistler Gruppe ist Weltmarktführer in der Entwicklung, der Produktion und dem Vertrieb von dynamischer Messtechnik. Als erfahrener Entwicklungspartner ermöglicht Kistler seinen Kunden in Industrie und Wissenschaft, Produkte und Prozesse zu optimieren. Kistler ist ein Schweizer inhabergeführtes Familienunternehmen mit Hauptsitz in Winterthur und prägt seit über 65 Jahren durch seine einzigartige Sensortechnologie zukünftige Innovationen in zahlreichen Branchen. Kistler erwirtschaftete im Jahr 2023 weltweit einen Umsatz von 465 Millionen Schweizer Franken mit rund 2200 Mitarbeitenden an über 60 Standorten.
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