Warum Lieferkettenrisiken in den Fokus rücken
Ein starkes Netzwerk ermöglicht Unternehmen den Austausch von Ressourcen, eröffnet neue Geschäftsmöglichkeiten und bietet Unterstützung in schwierigen Zeiten. Zu einem Netzwerk gehören auch die Lieferanten, denn sie sichern die Versorgung des Unternehmens mit Rohstoffen, Komponenten oder Dienstleistungen.
Eine gute Nachricht ist, dass Untersuchungen von Dun & Bradstreet zeigen, dass Führungskräfte Lieferkettenrisiken nicht mehr als eine der grössten Risiken für ihre Geschäftstätigkeit ansehen. Ein Experte warnt jedoch davor, dass sie möglicherweise die Auswirkungen von geänderten Regulierungen unterschätzen, mit denen die Anforderungen an die Lieferkettentransparenz und das Berichtswesen deutlich verschärft werden.
Während Covid-19 kam es zu Risiken in der Lieferkette aufgrund von Lockdowns und nicht vorhersehbaren Grenzkontrollen, die die Betriebskontinuität ernsthaft bedrohten. Doch die Erinnerungen an die Pandemie verblassen, und in Anbetracht der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage scheint die Resilienz von Lieferketten in der Prioritätenliste der Unternehmen nach unten gerutscht zu sein.
Der aktuelle Report von Dun & Bradstreet, «Datengesteuerte Resilienz: Wachstum in Zeiten der Ungewissheit», zeigt, dass die Besorgnis der Führungskräfte über die Unterbrechung der Lieferkette deutlich zurückgegangen ist. Weltweit nannten nur 16 Prozent der Führungskräfte die Unterbrechung der Lieferkette als eine der grössten Bedrohungen für ihr Unternehmen im nächsten Jahr, während es bei der letztjährigen Umfrage noch fast ein Viertel waren. Betrachtet man die Daten auf Marktebene, sank der Anteil in der Schweiz von 21 Prozent im letzten Jahr auf 16 Prozent und in Deutschland von 26 Prozent auf 17 Prozent.
Die kommende Regulierungswelle und wie darauf zu reagieren ist
In Europa werden Unternehmen eine regelrechte «Explosion» der Anforderungen an Lieferkettendaten und Berichtswesen erleben, wie Christian Elkjaer, Subject Matter Expert, Third-Party Risk and Compliance, bei Dun & Bradstreet erläutert. Eine Reihe von Verordnungen werden eine grössere Transparenz bei den Aspekten Umwelt und Menschenrechte in den Lieferketten verlangen, beispielsweise die EU-Taxonomie, die Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen und, dem Beispiel Deutschlands folgend, ein geplantes europäisches Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.
Grosse Konzerne würden zwar als Erste in der Schusslinie stehen, doch der Druck werde «bis ganz nach unten» weitergegeben werden, sagt Elkjaer. «Selbst bei kleineren Firmen werden all ihre Geschäftspartner, ihre grossen Lieferanten, ihre Banken sagen: ‹Wenn Sie weiter mit uns Geschäfte machen wollen, müssen Sie berichten, was Sie in Bezug auf Kinderarbeit und Umweltverschmutzung in Ihrer Lieferkette zu tun gedenken.› Das ist eines der am meisten unterschätzten Probleme, die wir derzeit sehen.»
Wie Elkjaer erklärt, weist dieser Trend auch auf eine grundsätzliche Verschiebung in der Art und Weise hin, wie Lieferkettenrisiken zu messen sind. «In der Vergangenheit wurden Lieferkettenrisiken aus finanzieller Sicht betrachtet», sagt er. «Zum Beispiel: Wie steht es um die finanzielle Gesundheit dieser Firma? Können wir davon ausgehen, dass sie uns die Waren liefern wird, die wir in den nächsten zwölf Monaten brauchen? Seit einiger Zeit werden Beschaffungsabteilungen aufgefordert, sich Bereiche wie Compliance-Risiken genauer anzuschauen – also nicht nur, ob das Unternehmen, mit dem man Geschäfte macht, von Sanktionen betroffen ist, sondern wer der tatsächliche Eigentümer ist oder ob das Unternehmen an Aktivitäten beteiligt war, mit denen man nicht in Verbindung gebracht werden will.»
Fit machen für neue Bewertungsebenen
In Anbetracht der zunehmenden Komplexität und Mehrdimensionalität bei der Minderung von Lieferkettenrisiken werden viele Unternehmen Mühe haben, damit Schritt zu halten. «Traditionell sind Mitarbeiter in der Beschaffungsabteilung nicht dafür gerüstet, mit Risikobewertungen dieser Art umzugehen», sagt Elkjaer. «Es muss sich etwas ändern.»
Die Umstellung kann aus zwei Richtungen angegangen werden. Erstens müssen der Aufgabenbereich der Beschaffung und die Art der Talente, für die er attraktiv ist, quasi neu erfunden werden. «Es kann sein, dass neue Leute mit einem ganz anderen Hintergrund in der Beschaffungsabteilung arbeiten müssen», erklärt er. «Es werden vielleicht mehr Kompetenzen im Bereich Kredit und Compliance benötigt.»
Zweitens müssen Beschaffungsteams künftig stärker forensisch und mit stärker diversifizierten, detaillierteren Datenquellen arbeiten. «Die überwiegende Mehrzahl der Unternehmen schaut sich nur die Lieferanten an, mit denen sie direkt Geschäfte machen, und nicht darüber hinaus», sagt Elkjaer. «Sie schauen sich nicht an, wer diese Lieferanten eigentlich beliefert.»
Elkjaer empfiehlt Unternehmen, die Qualität und die Integrität ihrer Lieferantendaten mit einigen wenigen wesentlichen Fragen zu beurteilen:
- Ist dies der tatsächliche Name des Unternehmens oder ein Handelsname? Kennt man es auch noch unter anderen Namen?
- Ist der Lieferant direkt oder indirekt mit anderen Lieferanten im System verknüpft?
- Wie werden Lieferanten im System konkret angelegt? Werden Informationen manuell gesammelt oder automatisch von einem Anbieter bereitgestellt, der sie auf dem aktuellen Stand halten kann?
- Wann wurden diese Informationen zuletzt aktualisiert?
- Werden Daten aktiv verwaltet oder sammeln sie sich einfach an?